Wieviel Respekt vor Geschichte muss sein?

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Vier Architektur-Experten haben in der Ludwigsburger Musikhalle drei neue Kulturbauten kritisch begutachtet: die sanierten Wagenhallen und das Hotel Silber in Stuttgart sowie das Tobias- Mayer-Museum in Marbach. Tim Schleider, Marbacher-Zeitung, 13.04.2019

Während anderswo in Deutschland die Kultur gern mal darben muss, ist sie den Schwaben auch weiterhin viel wert – in der wie immer voll besetzten Ludwigsburger Musikhalle konnte das 43. Architekturquartett am Donnerstag gleich drei mehr oder weniger frische Kulturbauten der Region Stuttgart auf den Prüfstand stellen. Wobei alle drei sich auf eigene Art, aber offensiv mit Tradition und historischem Erbe auseinandersetzen müssen. Und das jeweilige Ergebnis vor Ort keineswegs unumstritten ist.

Das Quartett bestand diesmal aus dem Historiker Jorg Himmelreich, Chefredakteur der Schweizer Fachzeitschrift „Archithese“, dem Architekten Alexander Schwarz, einem der Partner im weltweit agierenden Büro Chipperfield, der Kulturmanagerin Wiebke Richert, Geschäftsführerin des Forums Ludwigsburg, und dem Stuttgarter Journalisten und Professor Hans-Jürgen Breuning. Und gleich am Anfang mussten alle vier erst einmal kleinlaut eingestehen, vor ihrer Besichtigung in Marbach noch nie in ihrem gesamten Bildungsbürgerleben von einem Gelehrten namens Tobias Mayer gehört zu haben.

Aber die Schillerstadt Marbach hat der Welt eben tatsächlich mehr als nur ein Käpsele beschert: Der Mathematiker, Physiker und Astronom Mayer hat Mitte des 18. Jahrhunderts unter anderem der Seefahrt die exakte Berechnung der Längengrade ermöglicht und erste Mondkarten erarbeitet. Seit Jahren pflegt ein engagierter Verein das Geburtshaus Mayers in der Marbacher Altstadt – und hat dies 2018 vom Stuttgarter Büro Webler + Geissler durch einen markant strengen, turmartigen Neubau enorm erweitern lassen.

Das Quartett sparte nicht am Lob für Mut und Engagement der engagierten Kulturbürger. Ohne jeden Spott meinte Alexander Schwarz, es gebe wenig, „was einen glücklicher macht als solche Hochkultur in der Provinz“. Der Bau falle auf, er sei besonders, „und das muss er ja auch, weil er Interesse wecken will für einen eigentlich Unbekannten“. Wie mutig dürfe ein Verein sein, so viel zu investieren, fragte Wiebke Richert – und gab selbst die Antwort: Die Öffentlichkeit brauche dringender denn je Orte, wo sie sich auch mit solchen Themen befassen könne, die ihr neu seien.

An der konkreten Ausführung gab es dann aber doch deutliche Kritik: Jorg Himmelreich konnte sich beispielsweise bei Form und Fenstern nicht entscheiden – „ist das nun cool oder kitschig?“ Richert fand, angesichts der weiter begrenzten Ausstellungsfläche sei ihr die Ausstellung zu wenig fokussiert, zu vollgestellt: „Das Haus zieht an, aber innen müsste es klarer erzählen.“ Summa summarum lief es hinaus auf ein „Weniger wäre mehr gewesen“.