2020

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Erweiterung des Tobias Mayer Museums in Marbach

Von Thomas Wieckhorst, Zeitschrift „Bauhandwerk“ Ausgabe 04/2020

Bei der Erweiterung des Tobias Mayer Museums in Marbach gab es zahlreiche Herausforderungen. So mancher Handwerker fühlte sich da bei der Ehre gepackt und lieferte bei der Ausführung seiner Arbeiten Bestleistungen ab.

Tobias Mayer ist ein Kind der Stadt Marbach, ebenso wie Friedrich Schiller, nur dass Mayer Astronom, Geograph, Kartograph, Mathematiker und Physiker und weit weniger berühmt als der Dichter war.

Mayer kam am 17. Februar 1723 in der Torgasse 13 zur Welt, Schiller rund 40 Jahre später zwei Straßen und Gehminuten entfernt in der Niklastorstraße 31. Beide starben jung: Schiller mit 46 Jahren, Mayer wurde sogar nur 39 Jahre alt. Beide Geburtshäuser sind heute Museen, beide sind Fachwerkhäuser, was wenig wundert, bedenkt man, dass die Stadt im 18. Jahrhundert fast vollständig aus Fachwerk bestand. Beide Gebäude sehen einander zum Verwechseln ähnlich: mit einem massiv aus Naturstein gemauerten Erdgeschoss und einem Ober- und Dachgeschoss in Fachwerkbauweise.

Fachwerkhaus mit turmartigem Anbau

Mayers Geburtshaus wurde erst vor rund zwei Jahren durch einen modernen Anbau von Webler + Geissler Architekten nach einem Entwurf des Büros Knappe Innenarchitekten zu einem Museum, in dem man das Werk und Leben des Wissenschaftlers Tobias Mayer angemessen präsentieren kann. Die Gestaltung der Ausstellung stammt von der Agentur Vista Rasch, deren Ausstellungsentwürfe zum Thema Astronomie ansonsten in Saudi-Arabien zu finden sind.

In Tobias Mayers Geburtshaus gab es bereits seit 1985 einen Raum im Erdgeschoss, der als Museum genutzt wurde. Den gibt es in umgebauter Form heute immer noch, allerdings ergänzt um einen viergeschossigen Anbau in Massivbauweise.

2012 erwarb der Trägerverein des Museums unter Vorsitz von Prof. Dr. Armin Hüttermann das Nachbargebäude des 1711 nach dem großen Stadtbrand errichteten Fachwerkhauses, in dem Tobias Mayer geboren worden war. Schon damals stand fest: Das kleine Museum im Fachwerkhaus soll durch einen modernen Anbau erweitert werden. Hierzu musste das Nachbargebäude verschwinden, was von Anfang an eine enge Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde erforderte. Beim Abriss kamen archäologische Funde zu Tage, denen zufolge dort einmal ein turmartiges Gebäude gestanden hatte. Diese Erkenntnis floss in den Entwurf des Anbaus mit ein.

Alter Gewölbekeller muss weichen

Aber nicht nur archäologische Funde förderte der Abriss des Nachbargebäudes 2015 zu Tage, sondern auch einen Gewölbekeller, der bis unter das benachbarte Fachwerkhaus reichte. Solche Gewölbekeller gibt es heute noch viele unter der Stadt. Sie sind das Einzige, das den großen Stadtbrand Ende des 17. Jahrhunderts überstanden hat. Dementsprechend alt sind diese Keller. Sie reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Klar, dass die Denkmalschutzbehörde den Keller erhalten wollte. „Ein Jahr lang haben wir verhandelt, bis wir das alte Gewölbe abbauen durften“, erinnert sich Martin Webler vom Büro Webler + Geissler Architekten aus Stuttgart. Denn der alte Gewölbekeller hätte die Lasten des Neubaus definitiv nicht getragen.

Mit dem Abriss des Gewölbekellers musste der Altbau stabilisiert werden. Hierzu schoben die Mitarbeiter der Team 2 Bauunternehmung aus Murrhardt auf Ebene des vorher rückgebauten Erdgeschossbodens vier Doppel-T-Träger horizontal in Mauerwerkstaschen ein, auf denen das Fachwerkhaus steht. „Die Sprieße unter den Kopfenden der Doppel-T-Träger dienten in der Baugrube lediglich als Notsicherung. Die eigentliche Abstützung erfolgt durch das Eigengewicht des Altbaus“, erklärt Martin Webler die Statik.

Neuer Keller mit Scheingewölbe 

Auf Höhe des untersten Gewölbestichs bauten die Handwerker eine Montageebene ein, auf der sie die vorab mit der CNC-Fräse gefertigten Spanten für die Deckenschalung montierten. Auf die Spanten schraubten sie eine Schalung aus schmalen Latten, die dem asymmetrischen Scheingewölbe die Form gibt. „Mit den schmalen Latten ließ sich mit durchlaufenden Scharen die Form des Gewölbes mit seinen unterschiedlichen Radien wie im Schiffsbau gut ausbilden“, sagt Martin Webler. Für eine solche am tiefsten Stichgrat bis zu 1 m dicke Decke musste reichlich Bewehrung in den Beton, da dieser sonst wegen seiner langen Trocknungszeiten Schwindrisse bekommen hätte. In den Graten wurden Lichtleisten und in den Flächen verlorene Schalungskörper für Downlights mit einbetoniert. Die Holzstruktur der Latten samt Fugen und selbst die Schraubenköpfe zeichnen sich auf der ausgeschalten Betonoberfläche ab. Ein echtes Gewölbe ist das aber nicht, da es von seiner Form her keine Kräfte aufnimmt, wie es ein richtiges Gewölbe täte. Tragend ist hier das Material Beton selbst.

Der auf diese Weise neu entstandene Gewölbekeller reicht – wie damals der Keller des abgerissenen Nachbargebäudes – bis unter das Fachwerkhaus und erstreckt sich unter dem gesamten Anbau. So ist ein auch von außen zugänglicher Veranstaltungsraum entstanden, der für Vorträge und Sonderausstellungen ebenso wie für den Ausschank von Getränken genutzt werden kann.

Treppe ist mehr als Erschließung

Die tragenden Wände des Anbaus schalten die Handwerker aus Beton. Daraus bestehen auch die Decken – alle mit einer 4,5 m x 2 m große Aussparung, in der eine Stahlkonstruktion als Erschließungsturm steckt. Dieser ist aber deutlich mehr als nur eine Treppe. In den mit Gipskartonplatten in Trockenbauweise beplankten hohlen Wangenwänden verlaufen nämlich sämtliche Daten- und Versorgungsleitungen. Selbst die Dachentwässerung wird in den Wangenwänden geführt. Die Oberfläche der Wangenwand auf der Ausstellungsseite wurde schreinermäßig vertäfelt und darin Medien wie Bildschirme und dergleichen eingelassen. Auf Ebene der obersten Decke, dem Flachdach, ist die Stahlkonstruktion mit einer Glasplatte abgedeckt, so dass Tageslicht von oben durch den Erschließungsturm bis in das Erdgeschoss flutet. 

Ziegelfassade aus weißem „Kolumba-Stein“ 

Für die gemauerte Fassade des Anbaus verwendeten die Handwerker einen handgestrichenen weißen Ziegelstein aus Dänemark – den so genannten „Kolumba-Stein“, der seinen Namen und seine Verwendung bereits beim Bau des Kolumba-Museums in Köln fand. Im Gegensatz zu Köln, wo die Steine monolithisch vermauert wurden, besteht der Wandaufbau der Museumserweiterung in Marbach aus der tragenden Betonwand, einer Mineralwolledämmung, einer 5 cm tiefen Hinterlüftung und der Ziegelaußenschale. Da der weiße Ziegelstein bei niedrigen Temperaturen gebrannt ist, besitzt er eine in Teilen offene Porosität, die Wasser aus Schlagregen transportieren kann. „Daher muss die Konstruktion hinterlüftet sein“, sagt Martin Webler. „Sonst kann es wie in Köln zu Bauschäden kommen.“ 

Die auf zwei Felder verteilten kleinen sechseckigen Fenster im Obergeschoss leiten ihre Form aus der Farbenlehre von Tobias Mayer ab. Die sechseckigen Fenster sind als Stahlzylinder über eine Dichtungsplatte in der Betonwand befestigt. Die Zylinder reichen also durch die Betonwand, die Dämmung und Hinterlüftung bis durch die Ziegelschale hindurch. Auf der Außenseite ist je ein großes Ziegelfertigteil mit acht beziehungsweise dreizehn sechseckigen Öffnungen darin auf das Feld mit jeweils acht beziehungsweise dreizehn Stahlzylindern geschoben. Die Fugen zwischen den Steinen und den Metallzylindern bildeten die Handwerker dauerelastisch aus. Auch die Fensterstürze sind Fertigteile, bei denen die Ziegelsteine in ein Betonbett gelegt werden. „Überall, wo es freie Spannweiten zu überbrücken galt, haben wir mit vorgefertigten Teilen gearbeitet“, sagt Martin Webler.

Fazit

Die Erweiterung des Tobias Mayer Museums in Marbach war eine außergewöhnliche Baustelle im historischen Bestand mit stark eingeschränktem Arbeitsrahmen. Zum Glück war da der Mut und die Courage der Handwerker. „Dietmar Schwaderer zum Beispiel hat sich so richtig in das Projekt reingehängt“, lobt Martin Webler das Engagement des Poliers von Team 2. Er steht stellvertretend für all die Handwerker, die es bei diesem Anbau bei ihrer Ehre gepackt hat und die bei der Ausführung ihrer Arbeiten Bestleistungen abgeliefert haben.

Autor

Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Von Thomas Wieckhorst

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherren Erika und Herrmann Püttmer, Backnang Tobias-Mayer-Verein, Marbach, https://tobias-mayer-museum.de

Wettbewerbsentwurf Knappe Innenarchitekten, Marbach, www.knappe-innenarchitekten.de

Planung und Bauleitung Webler + Geissler Architekten, Stuttgart, http://webler-geissler.de

Projektleiter Carsten Boenicke

Mitarbeit Valentin Spaeth, Meike Hammer, Mingxia Sun

Ausstellungsarchitektur Vista Rasch, Leinfelden-Echterdingen, www.vista-rasch.com

Statik und Fassadenplanung Riva GmbH Engineering, Backnang, www.rivagmbh.de

Rohbauarbeiten Team 2 Bauunternehmung, Murrhardt, www.team2gmbh.de

Maurerarbeiten L&S Verblend, Rhede, www.lsverblend.de

Innenausbau Mannsperger Möbel + Raumdesign, Kleinbottwar, www.mannsperger.de

Trockenbauarbeiten Dirk Eckhold, Burgstetten

Herstellerindex (Auswahl)

Ziegelsteine K11, Petersen Tegl A/S, DK Broager, https://de.petersen-tegl.dk

Schalung und Stützen Peri, Weißenborn, www.peri.de