Tobias Mayer, Waisenkind aus Marbach, war ein Pionier der Kartografie – sein Werk und Leben zeigt ein neues Museum
Von Wolfgang Albers MZ-Wochenende vom 22.12.2019
Der markante Museumsneubau steht direkt neben dem Geburtshaus von TobiasMayer. Foto: Albers
Das ist mal ein architektonisches Ausrufezeichen. Mitten in die Marbacher Fachwerk Altstadt steht ein turmartiger Flachdach Kubus aus hellen Klinkersteinen, mit Fenstern, die mehr horizontale und vertikale Schlitze sind, die obere Fassade ist von einem Sechseckmuster durchbrochen. Distanzlos drängt sich das Werk des Architekten Martin Webler neben ein schnuckeliges Fachwerkhäuschen. Aber vielleicht ist so ein markanter Auftritt in der Schiller Stadt die einzige Chance, auf weitere Genies zu verweisen.
Wie auf Tobias Mayer. Tobias wer? Der Mann, der in dem kleinen Fachwerkhäuschen im Jahr 1723 geboren wurde, ist erst in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts durch einen schottischen Naturwissenschaftler wieder ins Bewusstsein gehoben worden: Tobias Mayer gehört zu den Pionieren der exakten Orientierung. Genaue Karten, die für uns so selbstverständlich sind, beruhen auf seiner seiner Arbeit. Wie wenig zuverlässig Karten noch im 18. Jahrhundert waren, hat Tobias Mayer mit einer Deutschlandkarte aus dem Jahr 1750 publik gemacht. Da sieht man Köln, Berlin, Frankfurt, Hamburg, all die Städte gleich dreifach an verschiedenen Stellen eingezeichnet. Was aussieht wie das Werk eines Betrunkenen, war tatsächlich der Stand der Wissenschaft: Weil die Kartografen die Längengrade nicht bestimmen konnten (und damit die genaue West/Ost Lage), lagen je nach Karte die Orte um 100 Kilometer auseinander.
Ein Problem, an dem die studiertesten Naturwissenschaftler der Zeit sich die Zähne ausbissen – und dessen Lösung sicher nicht von einem armen Waisenkind erwartet wurde, wie es Tobias Mayer war. Und das ist ebenso spannend am Museum: Es führt nicht nur in die Welt der Karten, sondern zu einer Aufsteiger Biografie par excellence. Die Familie Mayer zog von Marbach nach Esslingen. Der junge Tobias konnte schon vor der Schulzeit lesen, schreiben und exzellent malen. „Meine Mutter wurde wurde von mir um Tinte, Feder und Papier mehr geplagt als um Brot“, hat er in seiner Autobiografie erzählt. Und weil in der Schule die Mathematik nicht unterrichtet wurde, eignete er sich dieses Fach so intensiv selbst an, dass er mit 22 Jahren ein mathematisches Lehrbuch veröffentlichte.
Das Museum hat eines der wenigen Exemplare, die im Antiquariatshandel für Tausende von Euro gehandelt werden. Und es hat auch sämtliche 40 Karten (ausgestellt sind meist nur Reproduktionen), die Tobias Mayer für den damals führenden Kartenverlag Homann in Nürnberg zeichnete. Die Informationen musste er sich ja aus unterschiedlichsten Quellen beschaffen – und deren Zuverlässigkeit hat er auf einer Karte Südostasiens festgehalten: Eine Insel namens Ouro (das deutet auf Gold hin) zeichnet er an drei Stellen ein – und fügt an, dass er sowieso nicht an die Existenz dieser Insel glaubt.
Mayers Mondkarte war lange Zeit unübertroffen
Noch fantasievoller war eine Karte der Mondoberfläche. Eineinhalb Jahre setzte er sich ans Fernrohr – dann hatte er eine Mondkarte gezeichnet, die für lange Zeit unübertroffen war. Und der Mond half ihm auch, das Problem mit den Längengraden zu lösen – durch Messungen seines Abstandes.
Damit konnte sich Tobias Mayer, der ohne Studium ab 1751 in Göttingen Mathematikprofessor war und Direktor der Sternwarte, um einen Preis bewerben, den das britische Parlament ausgesetzt hatte. Er bekam tatsächlich als Zweiter eine Summe, die heute etwa einer Million Euro entspricht. Nur: Da war er schon mit 39 Jahren, als die Franzosen Göttingen besetzt hatten, an Typhus gestorben. Um dieses spannende Leben kümmert sich der Tobias-Mayer-Verein, der es nicht nur geschafft hat, das Geburtshaus zu erwerben, sondern auch – mit Sponsoren und Zuschüssen natürlich –, den Neubau neben das Geburtshaus zu stellen. Und weil sein Vorsitzender Armin Hüttermann an der Ludwigsburger Hochschule Lehrer ausgebildet hat, hält das Museum auch gut die Balance von Information, Verständlichkeit und Präsentation. Und es hat einen wunderschönen obersten Stock mit Prachtaussicht, mit Lesesesseln und der Bibliothek des Vereins – zum Schmökern für jeden, der Lust hat.