Marbach Dieter Baader baut den „Mechanismus von Antikythera“ nach – mit Handarbeit und Hirnschmalz.
Von Julia Amrhein, Marbacher-Zeitung 14.09.2018
Es ist Abend in der Schillerstadt. Die Lokale der Altstadt sind gefüllt, Menschen lachen und lassen die Gläser klirren. Dazwischen sitzt Dieter Baader mit seinen Papieren und ist hoch konzentriert: „Am Anfang dachten viele, ich gehöre zu einer Behörde.“ Doch auf den karierten Blättern wird kein Tadel verfasst, sondern es reihen sich Gleichungen an Gleichungen. Hoch technische Zeichnungen entstehen von Hand neben Tabellen. Einen ganzen Ordner ergeben die Berechnungen des 80Jährigen schon, „denn zehn Jahre Arbeit sind irgendwohin.“
Seit gut einem Jahrzehnt tüftelt der Marbacher an einer Maschine, die unter Naturwissenschaftlern und Historikern als Mechanismus von Antikythera bekannt ist. Dabei handelt es sich um ein Gerät, das 1900 von Schwammtauchern aus einem Wrack vor der namensgebenden griechischen Insel geborgen worden war. Doch die Jahre im Salzwasser haben dem Mechanismus zugesetzt – er war unvollständig und daher nicht mehr funktionsfähig. Fest stand dagegen, erklärt Dieter Baader, „dass dort dutzende Zahnräder auf sehr raffinierte Weise“ verbaut worden waren. Und zwar mit einem so hohen technischen Anspruch, wie er aus der Antike bis dato nicht bekannt war. Da scheint es nur natürlich, dass das Mysterium den Forschergeist zahlreicher Naturwissenschaftler weckte. „Es gibt sehr viele Nachbauten, teilweise sind diese schon 40 Jahre alt“, weiß Baader. Das Problem: Ohne Überlieferung, Vorlagen und Baupläne muss sich jeder Tüftler eigene Theorien überlegen, die genauso schnell wie sie entstehen, auch durch die Forschung wieder verworfen worden sind: „Da fließt viel Arbeit rein und dann ist es total daneben.
Dieter Baader hat das Fieber nach einer Begegnung in der Alexanderkirche gepackt. Dort kümmerte er sich gerade um die Kirchenglocken, als er mit einem Professor ins Gespräch kam, der auf der Suche nach einer Inschrift gewesen sei. Dabei schwenkte das Thema schließlich auf Räderwerke – ein Spezialgebiet von dem Diplom Ingenieur Dieter Baader: „Ich hatte meine Diplomarbeit über ‚Zahnräder‘ geschrieben und die Faszination hat mich nie losgelassen.“ Der Professor schickte ihm daraufhin ein Werk von Derek de Solla Price, neben dem Filmemacher Tony Freeth einer der wichtigsten Forscher in Sachen „Mechanismus von Antikythera“. Das Fieber hatte Baader gepackt . . . Sein großes Ziel? Selbst eine Nachbildung des „Mechanismus von Antikythera“ bauen – und das liegt in greifbarer Nähe. „Ich denke, ich brauche noch ein halbes Jahr“, schätzt Baader.
Die aktuelle Maschine sei nur ein Prototyp, an der er das Zusammenwirken der Zahnräder ermittelt. Sein „Hauptwerk“ soll dann aus Bronze bestehen, „weil es schöner aussieht und ich so dicht am Original bleiben will wie möglich“. Das Material ist aus seiner Sicht übrigens auch der Grund, weshalb nur ein Exemplar des Mechanismus gefunden worden ist: „Ich denke, die Römer haben das Gerät auf Rhodos geklaut und nur weil das Schiff untergegangen ist, blieb es erhalten.“ Die übrigen, sofern vorhanden, wurden vermutlich aufgrund des Metalls eingeschmolzen.
Das Gerät erlaubt es, sich die Position des Mondes an einem bestimmten Tag vorhersagen zu lassen.
Was den Ursprung des „Mechanismus von Antikythera“ angeht, würde Dieter Baader ihn in die Zeit des Archimedes einordnen und auf Syrakus in Sizilien lokalisieren: „Im Original sind nämlich korinthische Schriftzeichen zu finden.“ Gehört haben könnte es zum Beispiel einem Priester in Babylon. Warum? „Wer damals Wochen vorher wusste, wie der Mond steht, war doch der King!“ Der Mechanismus tut nämlich genau das: Gibt man ein bestimmtes Datum ein, zeigt eine Scheibe mit Mond Modell an, in welchem Winkel er zu Sonne steht und kann damit Sonnen und Mondfinsternis berechnen. Und das mit einer so ausgereiften Technik, dass sie Baader 2018 „noch Kopfschmerzen bereitet“ – etwa inwieweit er sich erlaubt, auch vom Original abzuweichen.
Damals wurde alles von Hand gefertigt, und das versucht auch der 80Jährige in seiner Werkstatt in den Holdergassen. Dort schleift er die Zahnräder – die kleinsten sind nur so groß wie ein Stecknadelkopf – an einer alten Maschine selbst, unter höchster Konzentration: „Ein Fehler und du musst mit dem Zahnrad von vorne anfangen.“ Hilfe geholt hat er sich dagegen bei einer der Tafeln des Mechanismus, bei den 223 Kästchen, die für den „Saros Zyklus“ – einem Mondzyklus – stehen, angeordnet werden müssen. Das ist jedoch eine Primzahl: „Das habe ich zu Hause nicht hingekriegt. Da hat mir die Firma Riva dann mit einer Spezialmaschine und Fräser geholfen.“ Doch viele Herausforderungen beim Nachbau lassen sich nur mit Hirnschmalz lösen. Wie etwa die Frage, wieso Zahnräder mit Schlitz verbaut worden sind, oder wie deren große Anzahl perfekt miteinander arbeitet. Da helfen dann nur Zeichnungen, Berechnungen und eine Kneipe, so Baader: „Ich brauche einfach die Nebengeräusche.“
Fotos: Julia Amrhein (2), privat